Ich bin Grundschullehrer, verheiratet, und wir haben einen zweijährigen Sohn. Eigentlich sollte mein Leben doch passen, oder? Aber da ist diese Sache, die mich seit meiner Kindheit verfolgt und auch heute noch belastet: Meine Eltern haben immer meine Schwester bevorzugt. Sie ist zwei Jahre jünger als ich, charmant, klug, und irgendwie hatte sie schon als Kind diesen Zauber um sich, der alle in den Bann gezogen hat. Ich hingegen war immer eher der ruhige, verlässliche Typ, der seine Hausaufgaben machte, sich an Regeln hielt, aber selten auffiel.
Es fing schon in der Grundschule an. Wenn meine Schwester nach Hause kam und ein Bild gemalt hatte, hingen meine Eltern es sofort an den Kühlschrank, lobten sie in den Himmel. Ich? Ich brachte eine Eins in Mathe mit, und das wurde mit einem kurzen „Gut gemacht“ abgetan. Kein Kühlschrank, keine große Sache. Später, als wir älter wurden, ging es weiter. Meine Schwester wollte Geige spielen – sie bekam Privatunterricht. Ich wollte Fußball spielen – ich bekam das gebrauchteste Paar Fußballschuhe, das sie auftreiben konnten. Es tat damals schon weh, aber ich habe versucht, das zu ignorieren.
Doch jetzt, mit 34, merke ich, wie tief das alles sitzt. Vor kurzem hatte mein Vater Geburtstag. Wir saßen alle zusammen, und wieder mal war meine Schwester das Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie erzählte von ihrem neuen Job, ihren Reisen, und meine Eltern waren voll dabei. Ich habe über eine Auszeichnung gesprochen, die ich für ein Schulprojekt bekommen habe, aber es war, als hätte ich nichts gesagt. Nach zwei Minuten war das Thema erledigt. Ich saß da, lächelte, aber innerlich zog sich alles zusammen.