Ich bin Genetiker, also jemand, der sich mit den Bausteinen des Lebens beschäftigt. Ich bin jeden Tag mit DNA-Sequenzen, Mutationen und Vererbungen konfrontiert – das ist mein Job, meine Leidenschaft. Aber was ich nie erwartet hätte, war, dass mich meine eigene Familiengeschichte wie eine Mutation in meinem Leben verfolgen würde.
Es begann bei einem dieser Familiensonntage. Meine Eltern, meine Großeltern, ich – wir saßen im Wohnzimmer meiner Eltern, umgeben von Bildern und alten Erinnerungen. Irgendwann fing mein Vater an, von seinem Vater zu erzählen. Von einem Mann, der in den Kriegsjahren Dinge erlebt hatte, die man keinem Menschen wünscht. Hunger, Flucht, Verlust. Ich habe das schon als Kind gehört, aber an diesem Tag erzählte mein Vater Details, die ich nie zuvor gehört hatte.
Er sprach von der eisigen Kälte, in der mein Großvater tagelang durch die Wälder geflohen war, von der Angst, erwischt zu werden, und von dem Schuldgefühl, weil er seine Familie zurücklassen musste. Mein Vater redete, als wäre es seine eigene Erinnerung – und da wurde mir plötzlich klar: Vielleicht ist es das. Vielleicht hat er diese Angst, diese Schuld übernommen, und jetzt sitzt sie in mir.
Die Tage danach habe ich gemerkt, dass diese Geschichten mich nicht loslassen. Ich bin abends wachgelegen, mein Kopf voller Bilder, die gar nicht aus meinem eigenen Leben stammen. Und doch habe ich das Gefühl, dass sie irgendwie in meinen Zellen verankert sind.